Fliegenpilz: Vernetzer des Waldes

Der Fliegenpilz gehört zu den bekanntesten Pilzen der Schweiz. Wegen seiner auffallenden Färbung sticht er in Wäldern sofort ins Auge. Meist kommt er vor, wo Fichten und Birken wachsen. Mit ihnen lebt der Fliegenpilz in einer engen Partnerschaft. Die Bäume versorgen den Pilz mit Traubenzucker aus der Photosynthese. Im Gegenzug erhalten sie Wasser und Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor.

Artportrait des Fliegenpilzes

Artname

Fliegenpilz (D), L'Amanite tue-mouches ou fausse oronge (F), Ovolaccio (I), Amanita muscaria (Lat.)
Ordnung Champignonartige (Agaricales)

Grösse

Durchmesser Hut bis zu 15 cm, Stiel bis zu 20 cm lang
Saison Fruchtkörper (sichtbarer, oberirdischer Teil) von Sommer bis Herbst
Lebenserwartung viele Jahre (Mycel) 

Ernährung

Symbiose mit Bäumen wie Fichten und Birken, die dem Pilz Zucker zur Verfügung stellen. Im Gegenzug versorgt der Fliegenpilz den Baum mit Nährstoffen wie Stickstoff oder Spurenelementen

Lebensraum

Wald (auch in Graslandgesellschaften), urbane Lebensräume (z.B. in Parks oder Gärten)

 

Der Fliegenpilz kommt praktisch in der ganzen Schweiz vor. Sein leuchtendes Rot macht den Fliegenpilz vielerorts wortwörtlich zu einem Farbtupfer in der Landschaft und begeistert Gross und Klein. Bevorzugt wächst er in Nadelwäldern, oft in der Nähe von Fichten und Birken. Mit diesen Bäumen lebt er in einer Symbiose. Wie andere, sogenannte Mykorrhizapilze, besiedelt der Fliegenpilz neben dem Erdreich auch die Wurzeln dieser Bäume. Fliegenpilze wachsen ebenfalls in städtischen Gebieten, beispielsweise in Parks, auf Friedhöfen oder in Gärten, jedoch nie ohne ihre Baum-Partner. Zu sehen sind Fliegenpilze besonders im Sommer und im Herbst.

Fruchtkörper und Pilzgeflecht

Was die meisten Menschen als Pilz bezeichnen, ist eigentlich nur der sichtbare Fruchtkörper. Genau genommen dient dieser ausschliesslich der Fortpflanzung. Die vom Fruchtkörper freigesetzten Sporen werden vom Wind an neue Standorte getragen. Sind die Bedingungen dort geeignet, keimen die Sporen aus und neue Pilzkolonien entstehen. Der eigentliche Pilz lebt im Erdreich und bildet dort ein dichtes Pilzgeflecht, das sogenannte Mycel, aus dem die Fruchtkörper hervorgehen. Das Mycel besteht aus einem feinmaschigen Netz aus einzelnen Pilzfäden (Hyphen), die die oberste Schicht des Erdreichs durchwachsen.

Pilze und Bäume, gut miteinander vernetzt

Viele Pilze und Pflanzen gehen miteinander eine enge Partnerschaft ein, eine sogenannte Symbiose. Der Fliegenpilz zum Beispiel kommt meist in der Nähe von Fichten oder Birken vor, mit welchen er in Symbiose lebt. Davon profitieren beide Seiten. Da die Pilzfäden viel feiner sind als die im Vergleich etwas klobigen Baumwurzeln, kann der Pilz das Erdreich viel dichter durchkämmen. Er kann deshalb Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor deutlich effizienter aufnehmen als der Baum. Dafür können Pilze nicht selber Zucker produzieren, wie dies die Bäume durch die Photosynthese (Prozess, in dem aus Sonnenlicht Energie in Form von Zucker produziert wird) vermögen. Der Austausch der begehrten Produkte findet an den Wurzelspitzen statt. Der Pilz ummantelt sie mit seinen Pilzfäden ganz dicht und wächst zudem in die oberste Schicht der Wurzel hinein. Diese Verbindung nennt man Mykorrhiza.

Wie der Fliegenpilz zu seinem Namen kam

Es gibt viele Erklärungen, wieso der Fliegenpilz so genannt wird. Einer Theorie zufolge wurde er früher zerschnitten und in Zuckermilch eingelegt, um Fliegen in Wohnräumen anzulocken und sie zu vergiften. Dies wirkt aber nur begrenzt: Ein Versuch zeigte, dass die Mischung aus Zuckermilch und Fliegenpilz Fliegen nur betäubt. Lässt man sie in Ruhe, erholen sie sich schnell und fliegen wieder davon. Eine andere Erklärung betrifft nicht die Giftigkeit des Fliegenpilzes, sondern seine Wirkung auf die Psyche von Menschen. Im Mittelalter waren Fliegen ein Symbol für Wahnsinn. Manche Leute, die Fliegenpilze zu sich nahmen, bekamen Halluzinationen. Sie begannen zu toben und wirr zu reden, was damals klare Zeichen des Wahnsinns waren. Seine Wirkung verbindet den Fliegenpilz mit vielen Kulturen auf der ganzen Welt. Priester der Maya sollen ihn geraucht haben, um Kontakt mit Göttern aufnehmen zu können. Die Germanen glaubten, dass Fliegenpilze aus dem Speichel des Pferdes von Kriegsgott Wotan entstanden sind. Auch für die Wutausbrüche der Berserker, die im Rausch kämpfenden Krieger der germanischen Stämme, soll der Fliegenpilz verantwortlich gewesen sein. Sogar Kindergeschichten machen die Wirkung des Fliegenpilzes auf die menschliche Psyche zum Thema. In «Alice im Wunderland» beispielsweise isst Alice einen Fliegenpilz, um wieder ihre normale Grösse zu erreichen.

Bedeutung des Fliegenpilzes

Verschwinden Fliegenpilze aus unseren Wäldern, sind zuerst ihre Partner-Bäume betroffen: Sie verlieren einen wichtigen Nährstoff- und Wasserlieferanten. Daneben sind Pilze mit ihrem riesigen unterirdischen Pilzgeflecht auch für die Bodenstabilität sehr wichtig. Studien zeigen, dass Rutschungen in Böden mit starken Pilzgeflechten deutlich seltener vorkommen. Und auch wenn der Fliegenpilz für Menschen giftig ist, ist er für einige Waldbewohner eine wichtige Nahrungsquelle. Schnecken oder die Maden von Fliegen würden ohne Fliegenpilze einen Teil ihres Speiseplans verlieren.

Massnahmen für Fliegenpilze

Wer Fliegenpilze unterstützen will, muss die Gesundheit von Bäumen fördern. Da sie miteinander in einer Partnerschaft leben, haben gesunde Bäume auch einen positiven Einfluss auf Pilze. Eine Durchforstung im Altbestand des Pilzreservats La Chanéaz zeigt dies eindrücklich: In den Jahren nach dem Eingriff wurden viermal so viele Pilzarten und bis zu zehnmal so viele Fruchtkörper gefunden. Da viele Pilze auf einen oder wenige Bäume spezialisiert sind, ist es zudem wichtig, dass Mischwälder mit verschiedensten Baumarten gefördert werden. Momentan scheint es dem Fliegenpilz in der Schweiz sehr gut zu gehen. Man sollte ihn jedoch im Auge behalten, um einen allfälligen Rückgang möglichst schnell zu entdecken und allenfalls Gegenmassnahmen einleiten zu können.

Gefährdungsstatus des Fliegenpilzes

Der Fliegenpilz gehört in der Schweiz zu den nicht bedrohten Arten. Im Gegenteil, er scheint sich in den letzten Jahren sogar auszubreiten. Studien zeigen aber, dass mehr Stickstoff in Wäldern zu einer Abnahme von Pilzen führt, die mit Bäumen in Gemeinschaft leben. Bei hohen Stickstoffkonzentrationen bilden diese Pilze weniger Fruchtkörper und auch ihr Mycel verkleinert sich. Mit Bäumen können sie sich dadurch nur noch begrenzt vernetzten. Verschwinden die Partner-Bäume, kann der Pilz unterirdisch noch lange weiterleben. Er bildet aber keinen Fruchtkörper mehr. So ist der Fliegenpilz für sein langfristiges Überleben auf Bäume angewiesen.